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Dr. Anja Domke

Arbeitszeiterfassung - Stand und Ausblick

Nachdem der EuGH mit seinem Urteil vom 14. Mai 2019 (C-55/18-CCOO) bereits eine Lawine zum Thema Arbeitszeiterfassung ausgelöst hat, wurde diese durch den deutschen Gesetzgeber mit Zurückhaltung zur Kenntnis genommen. Mit Urteil vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21) hat das BAG daher Fakten geschaffen und das Thema Zeiterfassung in den Mittelpunkt der juristischen Diskussionen gehoben, in dem es eine Pflicht der Arbeitgeber zur umfassenden Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer  postulierte. Diese Pflicht zur Arbeitszeiterfassung leitete das BAG aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG her.

Mit dem am 18. April 2023 veröffentlichten Referentenentwurf zur Einführung einer allgemeinen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen ersten Versuch gestartet, die Vorgaben des BAG auf eine tragfähige gesetzliche Grundlage zu stellen.

Referentenentwurf – Was kommt in welchem Umfang?

Im Mittelpunkt des Referentenentwurfs steht § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E. Danach sind Arbeitgeber verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit zu erfassen. Wie dieses zu verstehen ist, ob also eine minutengenaue Aufzeichnung jeder Pause (z.B. Raucherpausen) als Ende der Arbeitszeit zu erfassen ist oder ob lediglich Beginn und Ende insgesamt aufzuzeichnen sind, da sich aus den drei Komponenten vermeintlich ein eindeutiger Rückschluss auf die tägliche Arbeitszeit in ihrer Gesamtheit entnehmen lässt, ist nicht eindeutig. Da die Mitgliedstaaten nach EuGH ein objektives, verlässliches und zugängliches System einrichten müssen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, sollten der Referentenentwurf so zu verstehen sein, dass jede Pausenzeit und Überstunden erfasst werden, um den europäischen Vorgaben zu entsprechen.

Während sowohl EuGH als auch BAG eine Aufzeichnung in beliebiger Form genügen lassen, sieht der Referentenentwurf zwingend eine Aufzeichnung in elektronischer Form vor. Ausreichend sollen elektronische Anwendungen wie Apps auf einem Mobiltelefon oder die Nutzung herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme sein. Auch eine kollektive Arbeitszeiterfassung durch elektronische Schichtpläne soll ausreichen - sofern für den einzelnen Arbeitnehmer Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit sowie Abweichungen von den im Schichtplan festgelegten Arbeitszeiten (z. B. Urlaub, Fehlzeiten/zusätzliche Arbeitszeiten) gesondert elektronisch erfasst werden.   Eine nichtelektronische Aufzeichnung bleibt möglich für Kleinunternehmen mit weniger als 10 Arbeitnehmern (§ 16 Abs. 8 ArbZG-E) sowie für Arbeitgeber ohne Betriebsstätte im Inland. Ferner kann die nichtelektronische Zeiterfassung tarifvertraglich oder aufgrund eines Tarifvertrags durch Betriebs-/Dienstvereinbarung festgelegt werden, § 16 Abs. 7 Nr. 1 ArbZG. Die Aufzeichnungen sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren und für Kontrollen durch die Aufsichtsbehörde bereitzuhalten. Auf Verlangen sind die Arbeitnehmer über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren und die Aufzeichnungen in Form von Kopien zur Verfügung zu stellen.

Die Zeiterfassung muss am Tag der Arbeitsleistung erfolgen. Nur durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags durch Betriebs-/Dienstvereinbarung kann vereinbart werden, dass die Aufzeichnung an einem anderen Tag – spätestens aber bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Tags - erfolgen kann, § 16 Abs. 7 Nr. 2 ArbzG-E.

Für wen?

Die Aufzeichnungspflicht bezieht sich grundsätzlich auf alle Arbeitnehmer. Lediglich wiederum durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags durch Betriebs-/Dienstvereinbarung können Arbeitnehmer ausgenommen werden, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt werden kann, § 16 Abs. 7 Nr. 3 ArbZG-E. Nach Begründung zum Referentenentwurf kann es sich um Führungskräfte, herausgehobene Experten oder Wissenschaftler handeln, die nicht verpflichtet sind, zu festgesetzten Zeiten am Arbeitsplatz anwesend zu sein, sondern über den Umfang und die Einteilung ihrer Arbeitszeit selbst entscheiden können. Da § 18 ArbZG nach aktuellem Stand nicht novelliert werden soll, bleiben – so mag jedenfalls der aktuelle Referentenentwurf zu verstehen sein – auch die dort geregelten Ausnahmen (insbes. leitende Angestellte nach § 5 Abs. 3 BetrVG, weiterhin nicht von der Zeiterfassungspflicht umfasst.

Verantwortlich für die gesetzeskonforme Aufzeichnung der Arbeitszeit sind die Arbeitgeber. Die Pflicht zur Aufzeichnung kann nach § 16 Abs. 3 ArbZG-E auf die Arbeitnehmer delegiert werden – im Falle einer Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde müssen jedoch die Arbeitgeber nachweisen, dass eine Zeiterfassung rechtskonform erfolgt ist. Das bedeutet in der Praxis: Arbeitgeber sind gehalten, ihre Arbeitnehmer zur ordnungsgemäßen täglichen Erfassung ihrer Arbeitszeiten anzuhalten und individuell zu überprüfen, ob eine solche auch tatsächlich erfolgt. Im Falle eines Verstoßes der Arbeitnehmer gegen die auf diese delegierte Pflicht zur täglichen Aufzeichnung ihrer Arbeitszeit können arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Abmahnung oder Kündigung wirksam sein.

Ende der Vertrauensarbeitszeit?

Durch die Möglichkeit der Delegation der Zeiterfassung auf die Arbeitnehmer nach § 16 Abs. 3 ArbZG-E soll gewährleistet werden, dass weiterhin eine Vertrauensarbeitszeit vereinbart werden kann. Es sind jedoch auch im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit die Pflichten des § 16 ArbZG-E zu wahren. Ferner sind die Arbeitgeber nach § 16 Abs. 4 ArbZG-E im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit verpflichtet sicherzustellen, dass ihnen Verstöße gegen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden.

Für Verstöße gegen die Pflicht zur elektronischen täglichen Zeiterfassung sieht der Referentenentwurf in § 22 Abs. 1 Nr. 9 ArbzG-E einen Bußgeldtatbestand mit einem Bußgeld von bis zu EUR 30.000,00 vor.

Ab wann?

Der Referentenentwurf enthält in § 16 Abs. 8 ArbZG-E gestaffelte Übergangsvorschriften für die Einführung des elektronischen Zeiterfassungsystems. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in elektronischer Form gilt ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes; bis dahin bleibt eine handschriftliche Aufzeichnung zulässig. Für Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmern verlängert sich diese Übergangsregelung auf zwei Jahre, für Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern auf fünf Jahre. Wichtig ist, dass eine Zeiterfassung in nichtelektronischer Form aufgrund des Urteils des BAG bereits ab sofort vorzunehmen ist. Die Übergangsvorschriften betreffen nur die Form der Zeiterfassung – nicht jedoch die Pflicht zur Zeiterfassung als solche.

Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis bedeutet das Urteil des BAG, dass ab sofort eine systematische Erfassung mindestens der folgenden Daten für alle Arbeitnehmer notwendig ist:

  • Uhrzeit des Arbeitsbeginns
  • Uhrzeit des Arbeitsendes
  • Dauer 
  • Pausenzeiten und Überstunden

Solange der Referentenentwurf nicht offiziell verabschiedet ist, genügt eine nichtelektronische Form.

Da der Arbeitszeitbegriff arbeitsrechtlich dreiteilig ist, ist festzulegen, welcher Arbeitszeitbegriff im Rahmen der Zeiterfassung zugrunde gelegt wird: der Arbeitszeitbegriff im Sinne des Arbeitsschutzes, im vergütungsrechtlichen Sinne oder im Rahmen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Diese Begriffe fallen in ihrer jeweiligen Definition auseinander. Da es im Referentenentwurf um den Arbeitsschutz geht, ist davon auszugehen, dass der Arbeitszeitbegriff nach dem ArbZG Anwendung findet. Dies bedeutet z.B. für eine Dienstreise mit dem Zug/Flugzeug: Die Reisezeit ist vergütungspflichtige Arbeitszeit (sofern nichts anderes vereinbart wurde) aber keine Arbeitszeit nach dem ArbZG, solange nicht tatsächlich gearbeitet wird. Diese Reisezeit ist demnach nach dem Referentenentwurf keine aufzeichnungspflichtige, da der Referentenentwurf auf die tatsächliche Erbringung der Arbeitsleistung abstellt.

Es empfiehlt sich im Rahmen der Umsetzung des Referentenentwurfs zu differenzieren, ob lediglich die Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne aufgezeichnet wird – d.h. die tatsächliche Arbeitszeit - oder zusätzlich eine Aufzeichnung der Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne notwendig ist. Dieses gilt umso mehr, da die Aufzeichnungspflichten im ArbZG und in anderen Gesetzen (z.B. MiLoG) unabhängig voneinander zu erfüllen sind und kontrolliert werden.  Es ist daher im Rahmen der elektronischen Aufzeichnungspflicht zu entscheiden, wie viele Arbeitszeitkonten für einen Arbeitnehmer benötigt werden – in aller Regel dürfte zukünftig jedenfalls eines für den arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitbegriff sowie für den vergütungsrechtlichen Begriff einzurichten sein.

Da nach aktuellem Stand davon auszugehen ist, dass der Referentenentwurf in der dargelegten Form noch in diesem Jahr verabschiedet wird, empfiehlt es sich bereits jetzt, Gedanken zu machen, wie ein elektronisches System zur täglichen Erfassung der Arbeitszeit aussehen könnte. Dieses empfiehlt sich insbesondere, da die Einführung und Anwendung eines solchen Systems in der Regel eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt und in Betrieben mit Betriebsrat auch der Mitbestimmungspflicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt.

Ausblick - Praxistaugliche Lösung zur Digitalisierung und Flexibilisierung der heutigen Arbeitswelt?

Der dargestellte Referentenentwurf zum Arbeitszeitgesetz beinhaltet leider wenig erhoffte Neuerungen im Hinblick auf die notwendige Flexibilisierung der Arbeitszeit in der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt. Die Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume, die die EU-Richtlinie 2003/88/EG im Hinblick auf eine moderne Neugestaltung des Arbeitszeitrecht bietet, werden nicht genutzt. Auch sind keine weiteren Bereichsausnahmen nach § 18 ArbZG in den Entwurf aufgenommen worden – im Gegenteil: durch § 16 Abs. 7 Nr. 3 ArbZG-E wird der Geltungsbereich eher noch enger. Ferner lässt der Referentenentwurf Regelungen zur Ausgestaltung der Arbeitszeit bei mobiler Arbeit/Homeoffice vermissen. Der Referentenentwurf beinhaltet in erster Linie Vorgaben zur Zeiterfassung als solche und führt nicht zu einer innovativen Neuerung des Arbeitszeitrechts, welche den Herausforderungen der zunehmend digitalisierten und flexibel gestalteten Arbeitswelt in praxisgerechter Form gerecht wird. Die Übergangsregelungen ermöglichen zumindest, dass die notwendigen Übergangsprozesse gestaltbar sind.

Der Referentenentwurf befindet sich aktuell zur weiteren Diskussion im Kabinett. Es bleibt abzuwarten, in wieweit der Entwurf nachgebessert wird. Große inhaltliche Änderungen können wohl nicht erwartet werden. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet wird.

Wir halten Sie über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden. 

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