
Bewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU)
Hintergrund
Die Bewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) bringt zahlreiche Besonderheiten mit sich. Der folgende Beitrag soll auf ausgewählte Aspekte hinweisen, welche im Rahmen der gutachterlichen Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte in der Praxis immer wieder zu Missverständnissen und Irrtümern führen.
Typische Herausforderungen ergeben sich aus der Tatsache, dass häufig das Management von KMU nicht unabhängig von den Unternehmenseignern ist. Es kann zu Überschneidungen zwischen betrieblicher und privater Sphäre der Eigentümer kommen. Häufig liegen eingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten vor. Die Rechnungslegung ist oft nur beschränkt aussagefähig und Unternehmensplanungen fehlen oder sind nicht dokumentiert. Insbesondere ist daher auf die Abgrenzung des Bewertungsobjekts und die Bestimmung der dem Bewertungsobjekt innewohnenden übertragbaren Ertragskraft zu achten und die Zuverlässigkeit der vorhandenen Daten zu würdigen. Darüber hinaus sollte auch die Komplexität der Bewertung und der damit verbundene Kostenaufwand in einem angemessenen Verhältnis zur Größe des Unternehmens und den spezifischen Anforderungen des Bewertungsanlasses stehen.
Definition und Abgrenzung von KMU
Auch wenn für verschiedene Zwecke zahlreiche Definitionen und Größenklassifikationen für Unternehmen existieren, ist die pauschale Einordnung anhand quantitativer Kriterien für Bewertungszwecke grundsätzlich nicht zielführend. Die beispielsweise nach den Größenklassen des § 267 HGB als „klein“ oder „mittelgroß“ einzuordnenden Unternehmen decken eine enorme Bandbreite verschiedenster Unternehmen mit unterschiedlichen individuellen Ausprägungen typischer KMU-Merkmale ab. Dabei können diese Merkmale vereinzelt auch noch bei verhältnismäßig großen Unternehmen festzustellen sein oder aber bei sehr kleinen Unternehmen kaum Relevanz aufweisen. Es ist daher die Aufgabe des Bewerters, in jedem Einzelfall das Vorliegen qualitativer Merkmale von KMU zu prüfen und diese angemessen im Bewertungskalkül zu berücksichtigen.
Bewertungsverfahren
Der Standard IDW S1 „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmens-bewertungen“ des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland fasst in Rechtsprechung, Theorie und Praxis allgemein erkannte Bewertungsgrundsätze zusammen. Er bietet daher insbesondere bei Bewertungen für rechtliche und steuerliche Zwecke, aber auch als Grundlage für ökonomische Entscheidungen einen bewährten und belastbaren Rahmen. Der Unternehmenswert wird demnach als Barwert der erwarteten künftigen finanziellen Überschüsse des Unternehmens (Zukunftserfolgswert) anhand des Ertragswert- oder DCF-Verfahrens ermittelt. Die Wertuntergrenze stellt in der Regel der Liquidationswert dar. Multiplikator-verfahren können zur Plausibilisierung herangezogen werden, können jedoch eine Unternehmensbewertung nicht ersetzen. Wirtschaftsprüfer können im Einzelfall auch abweichende Bewertungsverfahren anwenden, z.B. aufgrund entsprechender gesellschaftsvertraglicher Abfindungsregelungen. In diesem Fall sollte der Bewerter jedoch den Auftraggeber auf mögliche Abweichungen von einem nach IDW S1 ermittelten Wert hinweisen.
Die im IDW S1 dargelegten Grundsätze finden regelmäßig auch bei der Bewertung von KMU Anwendung. Zur Konkretisierung im Hinblick auf die Bewertung von KMU hat das IDW darüber hinaus den Praxishinweis 1/2014 „Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen“ veröffentlicht. Dieser Praxishinweis wurde auch durch die Bundessteuerberaterkammer mitentwickelt und gleichlautend herausgegeben.
Nicht selten ist jedoch in der Praxis der Mythos anzutreffen, dass der IDW S1 nur bei der Bewertung großer, börsennotierter Unternehmen anwendbar wäre, während er bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen zu überhöhten Werten führe. Dabei ist zu beachten, dass der IDW S1 kein starres Rechenschema vorgibt, sondern allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze zusammenfasst und den Bewerter verpflichtet, auf dieser Basis eigenverantwortlich eine sachgerechte Bewertungslösung für den jeweiligen Bewertungsfall zu finden. Dies erlaubt dem Bewerter, flexibel auf die Besonderheiten des Einzelfalls einzugehen und die inhaltliche Belastbarkeit der Bewertung sicherzustellen, während manche in der Praxis anzutreffende alternative Bewertungsansätze stark auf pauschalierende Vereinfachungen zulasten der ökonomischen Aussagefähigkeit setzen.
Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse
Die Ableitung der bewertungsrelevanten künftigen finanziellen Überschüsse stellt einen wesentlichen Schwerpunkt der Bewertungsarbeiten dar. Basis ist dabei grundsätzlich eine integrierte Unternehmensplanung, welche durch den Bewerter zu plausibilisieren ist. Zum erforderlichen Umfang der Plausibilisierungshandlungen gibt der IDW Praxishinweis 2/2017 „Beurteilung einer Unternehmensplanung bei Bewertung, Restrukturierungen, Due Diligence und Fairness Opinion“ Hilfestellung. Danach ist insbesondere auch auf die Beurteilung der Eignung der Planung für den jeweiligen Bewertungszweck und die Berücksichtigung von Erwartungswerten abzustellen. Neben einer Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds ist regelmäßig eine Vergangenheitsanalyse Bestandteil der Untersuchungs-handlungen. Die Bereinigung der Vergangenheitsergebnisse dient dabei ausdrücklich der Plausibilisierung der Unternehmensplanung, nicht jedoch der pauschalen Fortschreibung von Vergangenheitsdaten.
Da bei KMU für Bewertungszwecke geeignete Planungen häufig fehlen oder unzureichend dokumentiert sind, müssen diese oft durch den Bewerter gemeinsam mit dem Management abgeleitet werden.
Anpassungen sind im Rahmen der Planung zu berücksichtigen, falls die dem Unternehmen innewohnende Ertragskraft aufgrund einer besonderen Abhängigkeit von der Person des bisherigen Eigentümers (beispielsweise Kundenbeziehungen oder nicht übertragbares Knowhow) nicht oder nur partiell bzw. temporär übertragbar ist. Der IDW Praxishinweis 1/2014 empfiehlt in diesem Falle die Abschmelzung des künftigen Ertragspotenzials. Die entsprechenden Annahmen hinsichtlich Art und Umfang der Einschränkungen der Übertragbarkeit oder die jeweilige Abschmelzungsdauer sind unternehmensindividuell zu ermitteln und zu dokumentieren.
Sofern im Rahmen der Ertragsplanung für die Tätigkeit des Eigentümers im Unternehmen keine oder eine nicht marktgerechte Vergütung berücksichtigt wurde, ist für Bewertungszwecke ebenfalls eine entsprechende Anpassung vorzunehmen. Orientierung bieten dabei verschiedene Studien zur Vergütung nicht am Unternehmen beteiligter Geschäftsführer.
Der für Bewertungszwecke zugrunde gelegte Detailplanungszeitraum umfasst häufig ca. drei bis fünf Jahre. Es gibt diesbezüglich durch den IDW S1 jedoch keine feste Vorgabe, vielmehr hat der Bewerter zu untersuchen, ob das Unternehmen planerisch innerhalb des angesetzten Detailplanungszeitraums einen sog. „eingeschwungenen“ Zustand erreicht, oder ob einzelne Sachverhalte die Berücksichtigung eines längeren Planungszeitraums (ggf. auch einer Übergangsphase) erfordern.
Ein häufiger Irrtum ist die Annahme, dass der IDW S1 im Anschluss an die Detailplanungsphase grundsätzlich die Berücksichtigung einer ewigen Rente unter Annahme einer unendlichen Lebensdauer des Unternehmens erfordern würde. Teilweise wird auch die pauschale Auffassung vertreten, dass die Berücksichtigung einer ewigen Rente bei der Bewertung von KMU grundsätzlich abzulehnen wäre. Dies ist im Hinblick auf die Vielzahl unterschiedlichster Geschäftsmodelle und individueller Gegebenheiten von KMU eindeutig unzutreffend. Der Bewerter hat sich im Rahmen einer IDW S1-konformen Bewertung in jedem Einzelfall - unabhängig von der Unternehmensgröße - davon zu überzeugen, ob die Annahme einer unendlichen Lebensdauer und die Berücksichtigung einer ewigen Rente im Bewertungskalkül sachgerecht sind und diese dann auf Grundlage eigenständiger Analysen abzuleiten.
Vereinzelt wird die Tatsache kritisiert, dass bei Bewertungen nach IDW S1 unterschiedliche Bewerter zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können. Dies liegt in der Natur der Unternehmensbewertung, da insbesondere bei der Prognose zukünftiger Ergebnisse zahlreiche Ermessensspielräume bestehen, innerhalb derer der Bewerter anhand seiner Kompetenz und Erfahrung sachgerechte Annahmen für den Einzelfall zu treffen hat. Die Vorgabe eines pauschalen Rechenschemas würde zwangsläufig die Möglichkeiten zur angemessenen Abbildung der individuellen Besonderheiten des Bewertungsobjekts und damit die Aussagefähigkeit einer Unternehmensbewertung einschränken.
Kapitalkosten
Die Abbildung der besonderen Risikomerkmale von KMU sollte grundsätzlich im Zähler des Bewertungskalküls, also im Rahmen der in der Prognose der finanziellen Überschüsse erfolgen.
Die zur Abzinsung der geplanten finanzielle Überschüsse angewandten Kapitalkosten werden auch im Rahmen der KMU-Bewertungen nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Bewertung größerer Unternehmen ermittelt. Dabei kommt in der Bewertungspraxis üblicherweise das Capital Asset Pricing Model (CAPM) bzw. Tax-CAPM zur Anwendung. Trotz gelegentlich vorgebrachter - teils berechtigter - Kritik am CAPM konnten sich bislang in der Praxis keine alternativen Methoden durchsetzen.
Zur Ermittlung des Betafaktors wird aufgrund der meist fehlenden Börsennotierung von KMU in der Regel auf eine Gruppe börsennotierter Vergleichsunternehmen (Peer Group) zurückgegriffen. Diese sollten ein mit dem Bewertungsobjekt im Wesentlichen vergleichbares Geschäftsmodell aufweisen. Hilfsweise bietet sich der Rückgriff auf Unternehmen an, deren Geschäftsmodell durch vergleichbare Risikofaktoren beeinflusst wird (insbesondere vor- oder nachgelagerte Wertschöpfungsstufen). Sofern sich das Risikoprofil des Bewertungsobjekts auf diese Weise nicht angemessen erfassen lässt, erlaubt der IDW PH 1/2014 auch begründete gutachterliche Anpassungen des unternehmensspezifischen Risikozuschlags. Zur Minderung des Bewertungsaufwands kann im Einzelfall auf Branchenbetas zurückgegriffen werden. Der pauschale Ansatz eines Betafaktors von 1,0 stellt demgegenüber eine zumeist nicht sachgerechte bzw. wenn überhaupt nur zufällig „richtige“ Lösung dar. Aufgrund der hohen Wertrelevanz des Betafaktors ist eine belastbare Schätzung durch den Bewerter zu bevorzugen.
Ebenfalls abzulehnen sind im Rahmen der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte sonstige pauschale Zu- oder Abschläge zu den Kapitalkosten, welche zumeist kapitalmarkttheoretisch nicht begründbar und schwer quantifizier-bar sind. Hierunter fallen insbesondere sog. Size Premiums.
Vereinfachte Preisfindungsverfahren
Vereinfachte Preisfindungsverfahren kommen insbesondere in der Transaktionspraxis häufig in Form von Multiplikatorverfahren zur Anwendung. Dabei werden meist Umsatz- oder Ergebnisgrößen von Vergleichsunternehmen im Verhältnis zu Börsenkursen oder Transaktionspreisen betrachtet und entsprechende Multiplikatoren auf die Umsatz- oder Ergebnisgrößen des Bewertungsobjekts angewandt. Bei KMU-Transaktionen kommen häufig niedrigere Multiplikatoren zur Anwendung als bei größeren Unternehmen. Infolge der oft geringen Transparenz der Kaufpreisermittlung und der Rahmenbedingungen der Transaktion, der Verdichtung zahlreicher wertbestimmender Faktoren auf einen Multiplikator und der oft eingeschränkten Vergleichbarkeit der Peer Group Unternehmen können diese Verfahren jedoch meist nur grobe Anhaltspunkte für die Kaufpreisermittlung und einen Rahmen zur Plausibilisierung von nach dem Ertragswert- oder DCF-Verfahren ermittelten Werten geben, jedoch nicht an die Stellte einer Unternehmensbewertung treten.
Fazit
Auch die Bewertung von KMU ist nicht trivial und stellt an den Bewerter hohe Anforderungen. Der IDW S1 bietet dabei zusammen mit den ergänzenden Stellungnahmen des IDW einen geeigneten Rahmen, um mit größtmöglicher Flexibilität im individuellen Bewertungsfall eine sachgerechte Lösung herauszuarbeiten, welche unter Beachtung allgemein anerkannter Bewertungsgrundsätze sowie angemessener Vereinfachungen zur Reduktion von Komplexität und Bewertungsaufwand die KMU-typischen Besonderheiten abbildet. Auf diese Weise wird auch die Akzeptanz der Bewertung bei Gerichten, Finanzbehörden oder Banken bzw. die Eignung als hinreichend belastbare und aussagefähige Grundlage ökonomischer Entscheidungen gewährleistet.