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COSOs neues Corporate Governance Framework: Ein strategischer Ansatz für moderne Unternehmensführung

Das Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO) hat in Zusammenarbeit mit der National Association of Corporate Directors (NACD) am 27. Mai 2025 den Entwurf des neuen Corporate Governance Frameworks (CGF) veröffentlicht. Dieses umfassende Rahmenwerk stellt einen grundlegenden Wandel dar – weg von reaktiven, krisengetriebenen Governance-Verbesserungen hin zu einem proaktiven, strategischen Ansatz, der der vernetzten Realität moderner unternehmerischer Herausforderungen Rechnung trägt. Ziel des CGF ist es, ein anerkanntes und angesehenes Governance-Rahmenwerk zu schaffen, welches das bestehende COSO Internal Control–Integrated Framework (ICIF) und das Enterprise Risk Management (ERM) Framework ergänzt und mit ihnen in Einklang steht.

Die Veröffentlichung dieses Entwurfs stellt eine bedeutende Weiterentwicklung im Bereich der Corporate Governance dar. Erstmals wird mit dem CGF ein integriertes, prinzipienbasiertes Fundament geschaffen, das bestehende Best Practices aus der Governance-Welt zusammenführt und systematisch miteinander verknüpft. Aufgrund seiner breiten Anwendbarkeit und seines strukturierten, aber flexiblen Designs, hat das COSO CGF das Potenzial, sich als weltweit anerkannter Referenzrahmen für Organisationen jeglicher Größe und Branche zu etablieren.

Der nachfolgende Inhalt bietet eine Zusammenfassung der zentralen Punkte und der Struktur des CGF-Entwurfs.

Jenseits der krisengetriebenen Governance

Historisch gesehen haben sich bedeutende Verbesserungen in der Corporate Governance in erster Linie als Reaktion auf größere Krisen und Unternehmenszusammenbrüche entwickelt. Organisationen haben oft erst nach Skandalen oder Desastern tiefgreifende Reformen eingeleitet – ein Vorgehen, das in der heutigen, sich rasant verändernden Unternehmenswelt nicht mehr tragfähig ist.

Dieses reaktive Muster hat zu einem Zyklus geführt, in dem Governance-Verbesserungen eher als Notfallmaßnahmen, denn als strategische Initiativen verstanden wurden. Vom Sarbanes-Oxley Act (SOX) nach dem Enron-Skandal bis hin zu Bankenregulierungen infolge der Finanzkrise 2008 waren viele Rahmenwerke eher Reaktionen auf Fehlentwicklungen als vorausschauende Präventionsmaßnahmen.

Zwar existieren derzeit verschiedene Governance-Ansätze, sie decken jedoch jeweils nur Teilaspekte ab und bieten keine ganzheitliche Sicht. Diese Fragmentierung zeigt sich etwa in den Anforderungen des SOX, den Vorschriften der NYSE sowie in weiteren Standards aus dem COSO-Umfeld. Diese Rahmenwerke adressieren jeweils bestimmte Aspekte der Governance, jedoch fehlt eine kohärente Integration – es entsteht ein Flickenteppich aus teils widersprüchlichen Anforderungen ohne übergreifende strategische Ausrichtung.

Definition von Corporate Governance

COSO definiert Corporate Governance im weiteren Sinne als die Prozesse und Aufsichts­mechanismen, durch die informierte Aufsichts- und Führungsgremien eine Organisation ethisch und im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben auf die Erreichung ihrer strategischen Ziele hin steuern. Governance geht dabei weit über reine Regelbefolgung hinaus; sie gestaltet aktiv Strategie, Transparenz, Verantwortlichkeit und die Resilienz einer Organisation.

Wirksame Governance bedeutet, Rollen, Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse klar zu definieren, verlässliche Informationsflüsse sicherzustellen und eine ethisch geprägte Unter­nehmens­kultur zu fördern. Governance geht somit über die reine Regeleinhaltung hinaus und fungiert zugleich als strategisches Führungsinstrument, das Entscheidungen unterstützt, die auf langfristige Wertschöpfung und die Interessen aller relevanten Stakeholder ausgerichtet sind.

Zielsetzung und Charakter des Rahmenwerks

Das COSO CGF wurde als dynamisches, anpassungsfähiges und prinzipienbasiertes Rahmenwerk konzipiert und nicht als starre Checkliste. Es ermöglicht die Ausgestaltung von Governance-Praktiken unter Berücksichtigung der Größe, Komplexität, Branche und regulatorischen Anforderungen einer Organisation. Obwohl das Framework in erster Linie für börsennotierte US-Unternehmen entwickelt wurde, sind seine Grundprinzipien breit anwendbar und treffen somit auch auf private Unternehmen und international tätige Organisationen zu.

Das Rahmenwerk fördert das Verständnis von Governance als ein miteinander vernetztes System, das verschiedene organisatorische Prozesse integriert, anstatt sie isoliert als einzelne Compliance-Anforderungen zu betrachten.

Dieser ganzheitliche Ansatz stellt sicher, dass sich Governance-Praktiken kontinuierlich an die sich wandelnden Bedürfnisse der Organisation und das externe Umfeld anpassen. Durch die Verbindung von Flexibilität mit klarer Struktur unterstützt das COSO CGF Organisationen dabei, Governance als dauerhaften, integrierten Entwicklungsprozess zu gestalten und so strategische wie operative Entscheidungen gezielt zu stärken.

Ein ganzheitlicher und integrierter Ansatz als Grundlage wirksamer Corporate Governance

Nach Einschätzung von COSO und der NACD waren mehrere zentrale Faktoren maßgeblich für die Entwicklung dieses Rahmenwerks:

  • Governance als Wettbewerbsvorteil: Immer mehr Organisationen erkennen, dass eine wirksame Governance nicht nur eine regulatorische Pflicht darstellt, sondern ein strategisches Unterscheidungsmerkmal. Studien belegen, dass gute Governance-Praktiken in direktem Zusammenhang mit strategischem Erfolg stehen und klare Vorteile bei der Kapital­beschaffung, der Gewinnung von Fachkräften und der Positionierung im Markt bieten.

  • Ganzheitliches Risikomanagement: Bestehende Rahmenwerke konzentrieren sich häufig auf einzelne Risikokategorien – etwa finanzielle, operative, technologische oder regula­torische Risiken. Das neue Framework berücksichtigt, dass heutige Risiken zunehmend miteinander verflochten sind. Wirtschaftliche Unsicherheiten, Cyberbedrohungen, regula­torische Veränderungen und geopolitische Spannungen müssen gemeinsam betrachtet und gesteuert werden.

  • Erweiterter Fokus auf Stakeholder: Traditionelle Modelle legen den Schwerpunkt vor allem auf die Interessen der Anteilseigner. Das COSO CGF hingegen erkennt ein breiteres Spektrum an Anspruchsgruppen an, darunter Aufsichtsgremien, das Management, Mitarbeitende, Kundinnen und Kunden, Lieferanten, Gemeinden sowie Aufsichtsbehörden.
  • Integrierter Ansatz: Anstatt reaktiv auf Einzelprobleme zu reagieren, bietet das Rahmenwerk eine umfassende, vorausschauende Perspektive. Es sorgt dafür, dass Governance systematisch verankert wird, ohne den strategischen Gesamtfokus aus den Augen zu verlieren.

Aufbau und Struktur des Rahmenwerks

Das COSO CGF wird in Form eines kreisförmigen Modells dargestellt, das die kontinuierliche und ganzheitliche Natur der Corporate Governance betont. Im Zentrum steht das Konzept des langfristigen Wertes. Ein klares Signal dafür, dass nachhaltige Wertschöpfung sowohl Ziel als auch Grundlage wirksamer Corporate Governance ist.

Abb. 1:     Corporate Governance Framework von COSO

Ein Bild, das Text, Elektronik, Compact Disc, Kreis enthält.

KI-generierte Inhalte können fehlerhaft sein.

Quelle:  COSO and NACD: Corporate Governance Framework – Public Exposure Draft. Mai 2025, p. xiii.
 

Rund um dieses Zentrum gruppieren sich vier zentrale Interessensgruppen, die im Governance-System eine besondere Rolle einnehmen:

  • Aufsichtsorgan
  • Management
  • Anteilseigner
  • Weitere Stakeholder (z.B. Mitarbeitende, Gesellschaft oder Kundinnen und Kunden)

Jede dieser Interessensgruppen tritt auf unterschiedliche Weise mit den Governance-Praktiken in Interaktion. Während Aufsichtsorgan und Management aktiv an der Steuerung und Weiter­entwicklung der Governance mitwirken, nehmen Anteilseigner und andere Stakeholder eher eine indirekte Rolle ein – sie beeinflussen das Governance-System durch Rückmeldungen, Erwartungen und ihren Grad an Einbindung.

Die sechs zentralen Komponenten

Um die Interessensgruppen herum sind Sechs miteinander verbundene und gleichrangig wichtige Komponenten sind um die Interessengruppen herum angeordnet: Aufsicht, Strategie, Unternehmenskultur, Personal, Kommunikation und Resilienz. Gemeinsam bilden sie ein integriertes Governance-Modell, das auf langfristige Stabilität, Zukunftsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit ausgerichtet ist.

 

Abb. 2:     Die sechs zentralen Komponenten und zugehörigen Prinzipien des CGF

 

Quelle: Angepasst nach COSO und NACD: Corporate Governance Framework – Entwurf zur öffentlichen Konsultation. Mai 2025, S. xiv.
 

  1. Aufsicht: Schafft grundlegende Governance-Strukturen, die strategische Orientierung und unternehmensweite Aufsicht ermöglichen. Umfasst die Rollen von Geschäftsleitung und Management bei der Sicherstellung wirksamer Governance-Praktiken, dem Aufbau von Verantwortlichkeitsmechanismen und der angemessenen Überwachung von Aktivitäten, stets mit dem Ziel einer fundierten Entscheidungsfindung. 

  2. Strategie: Bezieht sich darauf, wie Governance die strategische Planung, Umsetzung und Leistungsüberwachung unterstützt. Betont die Integration von Governance in strategische Entscheidungsprozesse, sodass Rahmenwerke strategische Ziele und Wertschöpfung fördern statt behindern – bei gleichzeitiger Überwachung strategischer Risiken und Chancen.

  3. Unternehmenskultur: Erkennt die Unternehmenskultur als grundlegenden Faktor für die Wirksamkeit von Governance an. Kultur prägt Denkweise, Entscheidungen und Verhalten auf allen Ebenen. Diese Komponente befasst sich mit der Schaffung einer Kultur, die ethisches Verhalten, Transparenz, Verantwortlichkeit und Risikomanagement im Einklang mit den Werten und strategischen Zielen der Organisation unterstützt.

  4. Personal: Konzentriert sich auf das Management des Humankapitals im Governance-Kontext. Wirksame Governance setzt die richtigen Personen mit geeigneten Fähigkeiten an den Schlüsselpositionen voraus. Thematisiert Führungsentwicklung, Nachfolgeplanung, Leistungsmanagement und die Kompetenzen, die für exzellente Governance in der gesamten Organisation erforderlich sind.
  5. Kommunikation: Stellt die Qualität und Klarheit von Informationsflüssen – intern wie extern – in den Mittelpunkt. Diese Komponente sorgt für eine genaue, zeitgerechte und transparente Kommunikation mit den Interessensgruppen und ermöglicht so fundierte Entscheidungen. Effektive Governance-Kommunikation schafft Vertrauen, bindet Interessensgruppen aktiv ein und sichert Transparenz in Berichterstattung und Offenlegung.

  6. Resilienz: Betrifft Risikomanagement, Anpassungsfähigkeit und Krisenvorsorge. Organisa­tionen müssen Risiken proaktiv identifizieren und steuern, robuste interne Kontrollen aufrechterhalten, für Regelkonformität sorgen und sich wirksam auf Störungen vorbereiten. Die Komponente Resilienz stellt sicher, dass Organisationen auf Krisen wie Cybervorfälle oder Störungen in der Lieferkette vorbereitet sind.

Integration mit bestehenden Rahmenwerken

Das CGF ergänzt und steht im Einklang mit den bestehenden COSO-Rahmenwerken: dem Internal Control – Integrated Framework (ICIF) sowie dem Enterprise Risk Management Framework (ERM) sowie weiteren etablierten Standards. Es ersetzt diese Rahmenwerke nicht, sondern bietet eine übergeordnete Governance-Struktur, die deren Wirksamkeit stärkt und miteinander verzahnt. Governance liefert die strategische Ausrichtung und Aufsicht, die erforderlich ist, damit sowohl das ICIF als auch das ERM-Rahmenwerk effektiv funktionieren können. Es integriert und verstärkt ihre Wirkung, anstatt ihren Zweck zu duplizieren.

Dieser Ansatz trägt der Tatsache Rechnung, dass viele Organisationen bereits erheblich in bestehende Systeme investiert haben. Statt bestehende Kapazitäten zu ersetzen, baut das CGF darauf auf. Es integriert weltweit bewährte Praktiken, um die Wirksamkeit der Governance zu erhöhen, Risiken proaktiv zu steuern und nachhaltigen Wert zu schaffen – unter optimaler Nutzung bestehender Investitionen.

Fazit

Das COSO CGF stellt einen bedeutenden Fortschritt im Verständnis von Governance dar. Es löst Organisationen aus fragmentierten, rein auf Regelbefolgung ausgerichteten Ansätzen hin zu einer umfassenden, strategischen Perspektive. Durch die Anerkennung der miteinander verknüpften Herausforderungen im Bereich der Governance liefert dieses Rahmenwerk zentrale Werkzeuge, um wirksame Steuerungs- und Aufsichtsstrukturen aufzubauen – zugeschnitten auf die jeweiligen organisatorischen Anforderungen.

Angesichts zunehmender Komplexität und wachsender Erwartungen seitens verschiedenster Interessensgruppen bietet das Rahmenwerk einen strategischen Fahrplan für den Ausbau von Governance-Fähigkeiten. Es unterstützt Organisationen dabei, Wettbewerbsvorteile zu entwickeln, ihre Resilienz zu stärken und nachhaltige Wertschöpfung voranzutreiben. Seine Anpassungsfähigkeit stellt sicher, dass Organisationen aller Größenordnungen davon profitieren können – und gleichzeitig die notwendige Flexibilität gewahrt bleibt.

Da es sich derzeit um einen Entwurf im Rahmen einer öffentlichen Konsultation handelt, sind Fachleute im Bereich der Governance ausdrücklich eingeladen, das Rahmenwerk zu prüfen und COSO Rückmeldungen zu geben. Diese Phase des Austauschs bietet die wertvolle Gelegenheit, mitzugestalten, was sich künftig als führender Standard der Unternehmensführung etablieren könnte – ein Standard, der unterschiedliche Erwartungen zusammenführt und die Reife, Klarheit und Verantwortlichkeit von Governance über Branchen und Regionen hinweg weiterentwickelt.

Das COSO CGF besitzt u.E. das Potenzial, als globaler Maßstab für Corporate Governance zu dienen. Es bietet Organisationen weltweit einen gemeinsamen Bezugspunkt zur Beurteilung und Weiterentwicklung ihrer Governance-Strukturen. Ein solcher internationaler Standard ermöglicht eine größere Vergleichbarkeit und Transparenz über Länder- und Branchengrenzen hinweg. COSO hat mit seinen etablierten Rahmenwerken ICIF für das interne Kontrollsystem (IKS) und ERM für das Risikomanagement bereits gezeigt, wie erfolgreich ein solcher Ansatz sein kann. Nun ist ein ähnlicher globaler Impuls auch im Bereich der Corporate Governance zu erwarten – mit dem Ziel, die Governance-Praxis weltweit zu vereinheitlichen und auf ein höheres Niveau zu heben.

Quelle: COSO and NACD: Corporate Governance Framework – Public Exposure Draft. Mai 2025.

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