EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen „X“ (ehemals „Twitter“)
Schon seit einiger Zeit steht der Online-Dienst „X“ (ehemals „Twitter“) wegen der Verbreitung von Falschinformationen, Hate Speech und Hetze in der Kritik. Nun hat die EU-Kommission ein Verfahren gegen „X“ eingeleitet, um festzustellen, ob das amerikanische Unternehmen gegen den DSA (Digital Services Act / Gesetz über digitale Dienste) verstoßen hat. Dies könnte eine hohe Geldbuße zur Folge haben. Das Verfahren ist das erste seiner Art, das über mögliche DSA-Verstöße eröffnet wird. Damit will die Kommission die Einhaltung des DSA durchsetzen und Online-Plattformen stärker als bisher in die Verantwortung nehmen.
Konkret geht es um mögliche Verstöße seitens „X“ gegen die Regelungen zum Risikomanagement, zur Moderation von Inhalten, zur Werbetransparenz, zum Datenzugriff für Forscher sowie um sog. Dark Patterns. Dies sind manipulative, bewusst irreführende Gestaltungen von Benutzeroberflächen, um Nutzer online zu Handlungen zu verleiten, die ihren eigentlichen Absichten zuwiderlaufen. Die Liste der möglichen Verstöße, die im Raum stehen, ist also nicht gerade kurz.
Hintergrund zum DSA
Der DSA ist ein Rechtsakt der EU in Form einer Verordnung (Verordnung (EU) 2022/2065), entfaltet also ohne weitere Umsetzung durch nationale Gesetze unmittelbare Wirkung in den Mitgliedsstaaten. Sie tritt ab dem 17.02.2024 für alle Plattformen und Suchmaschinen in Kraft. Für einige Plattformen bzw. Suchmaschinen gilt sie indes schon seit Ende August 2023, nämlich für solche mit über 45 Mio. durchschnittlich monatlich aktiven Nutzern in der EU (sog. very large online platforms (VLOPs) und very large online search enginges (VLOSE)). Ziel des DSA ist es, ein vertrauenswürdiges Online-Umfeld zu schaffen sowie insbesondere den Verbraucherschutz zu stärken.
Der DSA soll die E-Commerce Richtlinie und insbesondere deren Haftungsregeln ersetzen und wesentlich erweitern. Es werden besondere Pflichten für verschiedene Kategorien von Vermittlungsdiensten eingeführt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den VLOPs sowie VLOSE.
Anders als der Name der Verordnung vermuten lässt, taucht im Digital Service Act keine Definition von „digitalen Diensten“ auf. Konkrete Adressaten des DSA sind vielmehr „Vermittlungsdienste“, die für Nutzer in der EU angeboten werden, wobei hierunter nach dem DSA die reine Durchleitung von Informationen, Caching-Leistungen, Hosting-Dienste, Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen fallen.
Zentraler Gegenstand des DSA ist ein abgestufter Pflichtenkatalog, je nach Einordnung des Vermittlungsdienstes in drei unterschiedliche Stufen, mit jeweils ansteigenden Pflichten.
„X“ wurde durch die Kommission als „VLOP“ eingestuft (https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/policies/dsa-vlops), so dass „X“ die Pflichten aus Art. 33 ff. DSA und damit die strengste Stufe des Verpflichtungskatalogs für Online-Plattformen treffen.
Hintergrund des Verfahrens gegen „X“
Die Einleitung des Verfahrens durch die Kommission folgt vorangegangenen Offenlegungen durch „X“, nämlich:
der von „X“ im September eingereichten Risikoanalyse, zu der sie gemäß DSA binnen vier Monaten nach Einstufung als VLOP durch die Kommission (und danach mindestens einmal jährlich) verpflichtet ist. In der Analyse müssen unter anderem die Schwere und Wahrscheinlichkeit der Verbreitung von rechtswidrigen Inhalten, einer möglichen nachteiligen Auswirkung auf Grundrechte und der Grundrechtecharta sowie mögliche nachteilige Auswirkungen auf Minderjährige dargelegt werden;
dem von „X“ im November eingereichten Transparenzbericht (https://transparency.twitter.com/dsa-transparency-report.html), welchen „X“ als VLOP gem. DSA zwei Monate nach Anwendungsbeginn des DSA (danach einmal jährlich) einreichen muss. Der Bericht muss unter anderem die personellen Ressourcen, die zur Moderation von Inhalten aufgewendet wurden, die Sprachkenntnisse und Qualifikationen des eingesetzten Personals sowie Indikatoren für die Genauigkeit der eingesetzten automatisierten Mittel auflisten;
der Antworten von „X“ auf einen Fragenkatalog, der unter anderem Fragen bezüglich der Verbreitung illegaler Inhalte der Angriffe der Hamas gegen Israel zum Gegenstand hatte.
Fokus des Verfahrens
Das Verfahren gegen „X“ konzentriert sich auf einige der eingangs genannten möglichen Verstöße:
Der Hauptfokus liegt auf den Verpflichtungen der Plattform zur Eindämmung der Verbreitung illegaler Inhalte in der EU, dabei insbesondere den Maßnahmen, die „X“ ergreift, um diese zu verringern und die damit verbundenen „action-mechanisms“ (Abhilfeverfahren, Art. 16 DSA), also die Möglichkeit der Nutzer, solche Inhalte zu melden sowie die Reaktion der Plattform auf eine Meldung von Inhalten.
Daneben geht es um die Effektivität und ergriffenen Maßnahmen gegen Manipulation von Informationen auf der Plattform (insb. „Fake News“). Ein zentraler Aspekt sind dabei die „Community-Notes“ bei Nutzung von „X“. Dies sind kleine Textfelder, die bei umstrittenen Posts Nutzern Kontext-Informationen liefern sollen. Problematisch dabei ist, dass die dort angezeigten Informationen auch selbst von Nutzern stammen (https://communitynotes.twitter.com/guide/en/about/introduction#:~:text=Community%20Notes%3A%20a%20collaborative%20way,posts%20that%20might%20be%20misleading.).
Die Transparenz auf “X” ist ferner einer der Punkte, den die Kommission als problematisch ansieht. Im Zentrum des Verfahrens stehen also auch die von „X“ ergriffenen Maßnahmen zur Steigerung der Transparenz, dabei insbesondere Verfehlungen der Einhaltung von Art. 40 Abs. 12 DAS, der es Forschern erleichtern soll, an Daten der Plattform zu kommen. Gegenstand ist aber auch die Transparenz bezüglich Werbung auf der Plattform und somit ein möglicher Verstoß gegen die Transparenzpflichten aus Art. 26 DSA.
Schließlich will die Kommission ein irreführendes Design des User Interfaces untersuchen. Stein des Anstoßes sind dort die „blauen Haken“ zur Verifizierung bestimmter Nutzer, die seit Übernahme durch Elon Musk nur in Verbindung mit einem Abo-Modell verfügbar sind.
Nächte Schritte
Nach der nun erfolgten Eröffnung des Verfahrens wird die Kommission durch weitere Anfragen bei „X“, Interviews oder auch Kontrollen (solche sind durch Art. 52 Abs. 1 lit. b DSA für Koordinatoren digitaler Dienste möglich) zunächst weitere Beweise sammeln.
Das Verfahren durch den DSA ist nicht fristgebunden, so dass derzeit noch nicht abzusehen ist, wie lange sich dieses hinziehen wird.
Ausblick
Welche konkreten Konsequenzen für von der Kommission festgestellte Verstöße gegen den DSA für „X“ folgen werden, bleibt abzuwarten. Der DSA sieht in Art. 52 Sanktionen verschiedene Sanktionen vor, darunter Geldbußen in Höhe von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes des Plattformbetreibers. Dieser lag für „X“ 2021 bei ca. 5 Milliarden US-Dollar.