
Textform bei Gewerbemietverträgen
Beitrag zum Mietrecht anlässlich des Bürokratieentlastungsgesetz IV (BT-Drucksache 20/11306) und den am 25. September 2024 beschlossenen Änderungen für das gewerbliche Mietrecht zur gesetzlichen Schriftform –
Gesetzesänderung: Textform statt Schriftform im Gewerbemietrecht
Am 25. September 2024 hat der Bundestag eine für die Immobilienwirtschaft und die juristische Beratungspraxis weitreichende Änderung für die bisher so wichtige „gesetzliche Schriftform“ (§§ 550, 126, 578 BGB) beschlossen. Hintergrund sind eine Reihe von „Formerleichterungen“ (Textform statt Schriftform) bei Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zur Entbürokratisierung des deutschen Rechtssystems. [1] Der Gesetzentwurf ist im Bundesrat noch zustimmungspflichtig.
Der Bundestag hat dafür nun u.a. die lang ersehnte und schon oft versuchte Änderung [2] der Regelungen zur gesetzlichen Schriftform beschlossen, im Wesentlichen geht es hier um folgende Änderung:
„§ 578 Absatz 1 wird wie folgt geändert: Die Angabe „550,“ wird gestrichen. Folgender Satz wird angefügt: „§ 550 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass ein Mietvertrag, der für längere Zeit als ein Jahr nicht in Textform geschlossen wird, für unbestimmte Zeit gilt".“ (Hervorhebung nicht im Original)
Dieser Beitrag beleuchtet die Auswirkungen der aktuellen Gesetzesänderung auf die gesetzliche Schriftform gewerblicher Mietverträge.
Das Kernproblem: Kündigung unliebsamer Mietverträge
Zwar ist der Abschluss von Mietverträgen im Grundsatz formfrei möglich. § 550 BGB besagt aber:
„Wird der Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen, so gilt er für unbestimmte Zeit. […]“
Ein Verstoß gegen diese gesetzliche Schriftform bei einem langlaufenden Mietvertrag (z.B. bei vereinbarter Festlaufzeit unter Ausschluss des beiderseitigen ordentlichen Kündigungsrechts für die Vertragsparteien) führt in der Folge – auch gegen den ausdrücklichen Willen der Vertragsparteien – zu einer nach Ablauf eines Jahres Mietzeit jederzeitigen ordentlichen Kündbarkeit des Mietvertrages binnen gesetzlicher Kündigungsfrist (vgl. § 580a BGB). Eine Heilung des Formverstoßes war bislang durch den späteren Abschuss eines formwahrenden Nachtrags möglich. Obwohl das Kündigungs-recht wegen Schriftformverstoßes vorrangig einen Erwerber einer Immobilie vor unbekannten (nicht schriftlichen) Vereinbarungen schützen sollte, ist anerkannt, dass sich auch die ursprünglichen Vertragsparteien grundsätzlich wegen eines Schriftformverstoßes auf das Kündigungsrecht aus § 550 BGB berufen und so den (ggf. zwischenzeitlich unliebsam gewordenen) Mietvertrag vorzeitig beenden können. Das Kernproblem lag meistens nicht darin, dass die Parteien einen solchen Mietvertrag (oder Nachtrag) nicht in schriftlicher Form geschlossen hätten, sondern vielmehr in der Nichteinhaltung der von der Rechtsprechung, allen voran dem Bundesgerichtshof (BGH), zur gesetzlichen Schriftform entwickelten Grundsätzen und das Berufen einer Partei hierauf.
Die gesetzliche Schriftform ist gewahrt, wenn der Mietvertrag schriftlich zustande gekommen ist; dazu gehört auch, dass sich die für den Abschluss des Vertrags notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen, insbesondere über den Mietgegenstand, die Miete sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses, aus einer von den Parteien unterzeichneten Urkunde oder aus gleichlautenden, von jeweils einer Partei unterzeichneten Urkunde (bestimmbar) ergibt. [3] Was dies im jeweiligen Einzelfall konkret bedeutet, hat zu einer umfangreichen Kasuistik und Rechtsprechung geführt. [4]
Wie die bisherige umfangreiche Rechtsprechung im Lichte der neuen, geplanten Gesetzesänderung zu werten ist, und ob die aktuelle Gesetzesänderung den Parteien tatsächlich dabei hilft, das Kernproblem zu lösen, ist noch offen. Die vorzeitige Kündigung eines (unliebsamen, aber) befristet abgeschlossenen Mietvertrages infolge eines Schriftformverstoßes bzw. nun „Textformverstoßes“ ist den Vertragsparteien weiterhin möglich. Denn, so sagt es der Gesetzgeber selbst, Verstöße gegen die gesetzliche Textform führen auch nach der neuen Rechtslage weiterhin zur jederzeitigen Kündbarkeit des Mietvertrages. [5] Der Gesetzgeber geht zumindest davon aus, dass die jetzige Gesetzesänderung zu einer Reduzierung dieser Fälle führen wird:
„Diese Fälle [Anm.: gemeint sind Schriftformkündigungen der anfänglichen Vertragsparteien Mieter/Vermieter] werden nun durch Herabstufung des Formerfordernisses auf Textform (§§ 550 in Verbindung mit 578 Absatz 1 Satz 2 BGB) reduziert.“ (Hervorhebung nicht im Original)
Der den Regierungsentwurf prüfende Nationale Normenkontrollrat [6] hinterfragte das Gesetzesvorhaben sogar noch kritischer:
„Ob diese Fälle [Anm. gemeint sind Schriftformkündigungen von zwischenzeitlich unliebsamen Verträgen der ursprünglichen Vertragsparteien], wie es die Gesetzesbegründung annimmt, durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Herabstufung des Formerfordernisses auf Textform maßgeblich reduziert werden, erscheint fraglich. Ausgeschlossen werden sie nicht. Das Kündigungsrecht im Falle eines Formmangels sollte daher, wie es etwa in dem Gesetzentwurf des Bundesrates zu BR-Drs. 469/19 (Beschluss) vorgesehen war, auf den Erwerber beschränkt werden.“ [7]
Neue Rechtslage
Nach der geplanten neuen Rechtslage
(§§ 550, 578 Absatz 1 BGB-E) soll den Parteien eines Mietvertrages zwar keine Schriftform mehr abverlangt werden, d.h. das händische Unterzeichnen der Mietvertragsurkunde dürfte den Parteien in vielen neuen Fällen erspart bleiben, sofern die Parteien dies nicht dennoch aus Vorsichts- oder Kontrollgründen vorziehen (die neue Textform stellt nur das Mindestmaß an Formerfordernissen dar). Dies ermöglicht zumindest einen erleichterten Vertragsschluss im digitalen Verkehr.
Die neue Rechtslage soll für zukünftige Mietverträge direkt ab Inkrafttreten gelten; für bestehende bzw. bereits zuvor abgeschlossene Mietverträge soll die Regelung spätestens zwölf Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes Geltung entfalten. [8]
Aber auch für diese neue Textform könnten dann weiterhin die althergebrachten Grundsätze zur Bestimmbarkeit für den Mietgegenstand, die Miete, die Mietdauer und die Vertragsparteien fortgelten; jedenfalls so lange noch keine anderslautende höchst-richterliche Entscheidung ergangen ist. Und es stellt sich auch die Frage, ob und wie die Anlagen zu einem Mietvertrag (oder Nachtrag) bei Abschluss nur in Textform beizufügen sind, um keinen Formverstoß zu begründen. Gerade bei nur reiner Textkorrespondenz kann die Ermittlung des gemeinsamen Vertragsinhalts der Parteien schwierig werden, wenn die Einigung der Parteien nicht mehr nur in einer gemeinsamen (finalen) Urkunde liegt. Künftig könnten sich formgerechte Mietvertragsabschlüsse aus einem Mix aus Urkunden, E-Mails, SMS oder z.B. WhatsApp-Nachrichten ergeben. Ins-besondere beim Abschluss im Schriftverkehr mit wiederholten Abweichungen und geänderten Vorgaben kann das zu kniffeligen Situationen führen.
Dies führt dazu, dass sich die Vertragsparteien weiterhin die grundsätzliche Frage stellen müssen, ob ihr zwischenzeitlich in Textform abgeschlossener Mietvertrag (oder Nachtrag) diesen Grundsätzen entspricht oder nicht. Die Beantwortung dieser Frage erfordert im Zweifel weiter fachkundigen Rechtsrat.
Daneben wirft die Neuregelung zusätzliche Fragen und ggf. Rechtsunsicherheiten für bestehende und neue gewerbliche Mietverträge auf. Die Gesetzesänderung könnte den Vertragsparteien den Eindruck ver-mitteln, ein Schriftformverstoß sei künftig unbedenklich und sie so zu vorschnellen Vereinbarungen verleiten. Hierzu bot die gesetzliche Schriftform den Vertragsparteien einen zusätzlichen „Übereilungsschutz“, sodass nicht vorschnell Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien mittels „Textform“ abgeschlossen werden sollten.
Will man diesen Übereilungsschutz wieder-herstellen, stellt sich die bisher ungelöste Frage nach einer Abdingbarkeit der neuen Regelung zur Textform, wenn die Vertragsparteien ggf. weiterhin ausdrücklich die Schriftform für ihren Vertrag wünschen. Ob die Vertragsparteien daher nun – abweichend vom neuen Gesetzeswortlaut – die Schriftform für ihren Mietvertrag und spätere Nachträge zwingend (individual-vertraglich oder durch AGB) vorschreiben können und ob eine solche vertragliche Schriftformvereinbarung später in Textform wieder aufgehoben werden kann, ist aktuell noch ungeklärt. Solange der Mietvertrag nicht abgeschlossen ist, wäre in der Korrespondenz ein Vorbehalt nötig.
Zudem dürfte die neue Regelung Erwerber im Transaktionsprozess „erst recht“ dazu veranlassen, genauer nachzufragen und sich ggf. auch die vollständige E-Mail- und sonstige Text-Korrespondenz zu einem Mietverhältnis vorlegen zu lassen, damit ausgeschlossen ist, dass die Vertragsparteien in Textform, versteckt in einer E-Mail o.Ä., einen weiteren „Nachtrag“ oder eine sonstige Nebenabrede oder „Ergänzung“ zum Mietvertrag getroffen haben. Das Risiko unentdeckter Nachträge wird höher.
Fazit
Die Neuregelung löst zwar nicht das bisherige Kernproblem der Vertragsparteien: Die Schriftformkasuistik bleibt unübersichtlich, eine sichere rechtliche Bewertung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Schriftformmangels ist kaum möglich. Dies wird bis zu einer klarstellenden Rechtsprechung des BGH zur neuen Rechtslage auch weiterhin so bleiben. Allerdings reduziert die Neuregelung die Formvorschriften und den damit verbundenen Dokumentationsaufwand für die Vertragsparteien, indem nun auf eine händische Unterschrift verzichtet werden kann. Das kann jedoch dazu führen, dass sich die Vertragsparteien den konkreten Vertragsinhalt am Ende erst aus diversen einzelnen Textstücken (z.B. E-Mails) zusammensuchen müssen.
Mit der Textform allein lässt sich allerdings der finale Stand eines Mietvertrages schwerer beweissicher dokumentieren. Denkbar wäre, dass die Vertragsparteien regeln, dass die final gültige Fassung des Mietvertrages in Textform nach §§ 550, 578 n.F. nur durch eine einheitliche Urkunde und durch (digitale) Unterschriften oder wahlweise durch Anbringung einer qualifizierten elektronischen Signatur am Ende des Vertrages gekennzeichnet ist. Anderenfalls könnte schon die Übersendung eines „ersten Entwurfes“ – ohne besondere Vorbehalte – die Textform einhalten und die Annahme durch die andere Vertragspartei ermöglichen.
Gewerbliche Vermieter und Mieter sollten daher in Anbetracht der kommenden Neuregelung und Übergangsphase zunächst für sich bewerten, ob sie weiterhin bei der bisherigen „Schriftform“ verbleiben möchten oder die neue einfachere „Textform“ vorziehen.
Falls die Wahl auf die bisherige gesetzliche Schriftform fällt, dann ist den Vertragsparteien dringend anzuraten, einige die gesetzliche Rechtslage ergänzende Vorschriften in ihren Mietvertrag zu integrieren (u.a. Klauseln zur Abbedingung des neuen § 578 Absatz 1 Satz 2 BGB und Klauseln zur qualifizierten Schriftform, bestenfalls beides als Individualvereinbarung, da die Wirksamkeit solcher Klauseln in diesem Zusammenhang aktuell ungeklärt ist).
Falls die Vertragsparteien es bei der neuen Textform belassen, so sollten die Vertragsparteien unbedingt Vorkehrungen in ihrem jeweiligen Vertragsmanagement und konkrete Regelungen in den abzuschließenden Verträgen aufnehmen, die unerwünschte Ergebnisse, einen Missbrauch oder eine ausufernde Ergänzung und Fortschreibung des Inhalts eines Mietvertrages in Textform (z.B. durch E-Mails, Short-Messages, Briefe, usw.) vermeiden. Anderenfalls besteht hier – neben erhöhtem Recherche- und Dokumentationsaufwand – auch das vorgenannte Risiko, dass ein „Textformverstoß“ durch fehlende Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts eines Mietvertrages begründet wird.
Quellen/Anmerkungen
[1] Neben der hier thematisierten Änderung der Schriftform von § 550 für gewerbliche Mietverträge gibt es auch eine Reihe von Formerleichterungen bei der Belegeinsicht für Betriebs-/Nebenkostenabrechnungen oder im Bereich des Wohnraummietrechts (vgl. Seite 18/174, BT-Drucksache 20/11306).
[2] Die juristische Diskussion zur Änderung der gesetzlichen Schriftform geht schon eine ganze Weile (vgl. bspw. Fritz, in NJW 2010, 1050 (1053)); es gab verschiedene Änderungsinitiativen/-entwürfe, die jedoch bislang nicht zur Umsetzung kamen, z.B. Länderinitiative des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 2019; Ankündigung der Bundesregierung aus Oktober 2021; das Eckpunktepapier 2023 zum BEG IV, welches jetzt in einem ersten Referentenentwurf aus Januar 2024 umgesetzt wurde.
[3] Vgl. bspw. BGH, Urt. v. 11. April 2018 (Rz. 17) – XII ZR 43/17, NZM 2018, 515, 516.
[4] Ob ein Schriftformmangel vorliegt, bedarf einer Einzelfallprüfung, gerne unterstützen wir Sie dabei; im Übrigen verweisen wir auf die Kasuistik, z.B. Möller, in ZfIR 2008, 87 oder Nemzov/Aspar, in ZfIR 2019, 73.
[5] Vgl. Seite 102/174 der BT-Drucksache 20/11306 Artikel 229 EGBGB.
[6] Der seit 2006 bestehende Nationale Kontrollrat (NKR) berät die Bundesregierung unabhängig bei der Gesetzgebung, v.a. hinsichtlich der Bürokratiekosten und des Erfüllungsaufwandes von Gesetzesentwürfen.
https://www.normenkontrollrat.bund.de/
[7] Vgl. Seite 147/174, Anlage 2, der BT-Drucksache 20/11306.
[8] Vgl. Artikel 229 EGBGB (neu), Seiten 19 und 102/174 der BT-Drucksache 20/11306: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass alle Beteiligten innerhalb der zwölf-monatigen Frist ausreichend Gelegenheit haben werden, sich mit der neuen Rechtslage vertraut zu machen; daneben stellt der Gesetzgeber allerdings auch ausdrücklich klar, dass in der Übergangsfrist sog. „Schriftformkündigungen“ weiterhin möglich sind.