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Update: Schließungsanordnungen als Störung der Geschäftsgrundlage?

 

Gesetzesbeschluss des Bundestages zur rechtlichen Einordung coronabedingter Schließungsanordnungen als Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen

Nach der mit Beschluss vom 13.12.2020 beabsichtigten Ergänzung des Art. 240 EGBGB hat der Bundestag nun folgenden Gesetzesentwurf (Vorabfassung) beschlossen:

Artikel 10
Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche

Dem Artikel 240 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Juli 2020 (BGBl. I S. 1643, 1870) geändert worden ist, wird folgender § 7 angefügt:

㤠7
Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen

(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

(2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.“

Ob damit das gemäß dem Entwurf der Gesetzesbegründung beabsichtigte Ziel, nämlich die Stärkung der Verhandlungsposition der Gewerbemieter, erreicht werden kann, bleibt weiterhin zweifelhaft. 

§ 313 Abs. 1 BGB sieht vor, dass eine Vertragsanpassung verlangt werden kann, wenn sich nach Vertragsschluss die Geschäftsgrundlage schwerwiegend verändert hat und deshalb für eine Partei ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist.

Der Gesetzesentwurf soll nun eine widerlegliche Vermutung dahingehend statuieren, dass Einschränkungen in der Verwendung von Gewerbemiet- und Pachträumen infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie einen Umstand im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB darstellen, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist und der sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat. 

Auch wenn mit dieser Regelung eine Umkehr der Beweis- und Darlegungslast für den Mieter verbunden sein dürfte, ist damit noch nichts gewonnen. Denn § 313 BGB erfordert zusätzlich zu einer schwerwiegenden nachträglichen Veränderung der Geschäftsgrundlage, dass

(1) diese für die Parteien unvorhersehbar war,

(2) die Vertragsparteien bei ihrer Kenntnis den Vertrag so nicht geschlossen hätten und

(3) einer der Parteien (hier dem Mieter) ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Insoweit bleibt es bei der bisherigen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, die grundsätzlich beim Mieter liegt. 

Auch die Rechtsfolge des § 313 BGB, nämlich, dass eine Vertragsanpassung nur in angemessenem Umfang verlangt werden kann, bleibt durch die Neuregelungen unberührt. Ob und in welchem Umfang über die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung erfolgen kann, bleibt damit eine Frage des Einzelfalls, die – wenn die Vertragsparteien keine außergerichtliche Einigung erzielen können - durch die Gerichte entschieden werden muss. 

Für die Frage, wie eine angemessene Vertragsanpassung im konkreten Fall aussehen könnte, hat nach wie vor eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien zu erfolgen. 

Neben der Frage, wer nach den mietvertraglichen Vereinbarungen das mit dem Mietvertrag verbundene wirtschaftliche Risiko trägt (in der Regel ist dies der Mieter) dürften für die Interessenabwägung dabei auch an die Mieter gezahlte staatliche Zuschüsse und sonstige, die im stationären Handel entstandenen Umsatzeinbußen des Mieters reduzierende Faktoren (z.B. Umsätze aus dem Onlinehandel) zu berücksichtigen sein. 

Im Ergebnis dürfte die beabsichtigte Gesetzesänderung damit kaum dazu beitragen, dem Mieter die Vertragsverhandlungen zu erleichtern. Denn die schwierigste Aufgabe der Verhandlungspartner, nämlich das Auffinden einer interessengerechten Lösung, wird den Parteien durch Art. 240, § 7 EGBGB nicht abgenommen. Da zudem die Mehrheit der Gerichte bisher auch ohne die geplante Gesetzesergänzung die Anwendbarkeit des § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich bejaht hat und auch der bisherige Wortlaut des § 313 BGB durchaus geeignet ist, interessen- und sachgerechte Lösungen zu erzielen, ist der geplante Art. 240, § 7 EGBGB aus unserer Sicht nicht erforderlich, um die Mieter vor unzumutbaren Vertragssituationen zu schützen. 

Vielmehr besteht durch die Aufnahme der Gesetzesergänzung das Risiko einer Klagewelle, da die Mieter sich durch die Gesetzesergänzung möglicherweise in ihrer Ansicht bestärkt fühlen, etwaige Vertragsanpassungen notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Neben dem Unterlegens- und dem damit verbundenen Kostenrisiko kann dies auch zu einer Überlastung der Gerichte führen. 

Unabhängig davon kann auch trotz des ebenfalls geplanten Vorrang– und Beschleunigungsgebots für Verfahren über die Anpassung der Miete oder Pacht für Gewerberäume wegen staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie das Abwarten eines Gerichtsverfahrens jedenfalls für die Mieter, für die die Fortzahlung einer ungeminderten Miete eine Existenzbedrohung darstellt, den wirtschaftlichen Ruin bedeuten.   

Vorrangiges Ziel der Vertragsparteien sollte damit weiterhin die zügige Herbeiführung außergerichtlicher Lösungen sein.

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